Europäische Ideen zur künstlerischen Bildung
Im Europäischen Parlament wurden erfolgreiche Konzepte für die Kulturvermittlung an Schulen vorgestellt, die Bildungseinrichtungen in offene Lernzentren verwandeln. Die alternativen Lehrpläne aus Italien, Tschechien, Spanien und Österreich lösen einseitige Wissensvermittlung mit viel Kreativität ab.
Der vorherrschende Fachkräftemangel motiviert viele Schulen immer mehr Praxisorientierung in den Unterricht zu bringen. Es gibt Zusammenarbeit mit Betrieben und es werden vielfach Experten aus verschiedensten Bereichen hinzugezogen. Das gleiche Engagement und Kooperationen mit Fachleuten wäre auch für den Kunst- und Kreativsektor dringend notwendig, um das persönliche Erleben von Kultur schon möglichst früh im Leben von jungen Menschen zu etablieren. Vier europäische Schulkonzepte haben diese Idee umgesetzt und wurden vor Kurzem im Ausschuss für Kultur, Bildung und Sport (CULT) im Europäischen Parlament präsentiert.
Interdisziplinärer Unterricht
„Es ist wichtig, jungen Menschen Berufsperspektiven vorzustellen, doch Schule ist mehr als ein Zulieferer von Arbeitskräften für die Wirtschaft. Kunst und Kultur sollte ebenso wie der Sport mehr Bedeutung in den Lehrplänen erfahren. Das ist wichtig für die persönliche Entwicklung der Schüler und Schülerinnen und für die kulturpolitische Zukunft unserer Gesellschaft“, ist Europaabgeordneter Hannes Heide überzeugt. Laut einer Studie im Auftrag der Europäischen Kommission werden Musik und bildende Kunst in allen europäischen Ländern zumindest irgendwann im Laufe der Pflichtschulzeit unterrichtet. Auch Werken, Theater und Tanz gehören in einer großen Mehrzahl der Länder zu den Pflichtfächern. Die letzteren beiden werden für gewöhnlich im Rahmen eines anderen Pflichtfachs, sei es der Sprach- oder im Sportunterricht, behandelt. „Die strickte Einteilung des Lehrplans in Wissenschaft, Sprachen und Kunst ist nicht mehr zeitgemäß. Durch fächerübergreifende Projekte wird das Lernen lebendig und bleibt bestimmt eher im Gedächtnis als Unterricht nach dem Prinzip des Nürnberger Trichters, der Wissen buchstäblich frontal eintrichtert und in Tests und Prüfungen abfragt“, ist Heide überzeugt.
Wenig Stunden für Kunst und Musik
In einem Dutzend Staaten ist laut der europäischen Studie auch Medienkunst Bestandteil des Lehrplans. Architektur wird nur vereinzelt in den Unterricht aufgenommen. Die Stundenanzahl der kreativen Fächer nimmt im Laufe der Schuljahre allerdings stetig ab und bleibt in den oberen Schulstufen sogar deutlich hinter der Stundenanzahl für den Sportunterricht zurück. In weniger als der Hälfte der Länder legen die nationalen Bildungsbehörden Bewertungskriterien fest, anhand derer die Lehrkräfte den Leistungsstand der Schüler bewerten können. Im Allgemeinen entscheiden die Lehrkräfte selbst anhand der Lernziele, die ihnen vom Lehrplan oder von den Richtlinien der Bildungsbehörden vorgegeben werden, wie eine Benotung zustande kommt. In nur drei Staaten (Irland, Malta und Vereinigtes Königreich) müssen alle Schüler mindestens einmal im Laufe ihrer Schulpflicht eine standardisierte landesweite Prüfung in musischen Fächern ablegen.
COVID-Probleme für Kunst und Musik
Große Probleme ergaben sich für den Kunst, Musik- und Sportunterricht während der Corona-Pandemie. Für Fächer, die besonders auf persönlichen Kontakt zwischen Lehrpersonal und den Schülern und Schülerinnen ausgelegt sind, war das Distance Learning schwierig umzusetzen. „In dieser Zeit hat sich gezeigt, wie wichtig Kunst, Kultur und Sport nicht nur für eine umfassende Ausbildung, sondern auch für die persönliche Entwicklung und das Wohlbefinden der Schüler und Schülerinnen ist. Die mangelnde Bewegung während des Lockdowns und der marginale Anteil an kreativen Fächern im Distance Learning haben, neben der zusätzlichen Belastung durch die Krisensituation, vielen jungen Menschen die Freude am Unterricht genommen“, ist Heide überzeugt.
Schüler auf der Bühne
In Tschechien gibt es bereits ein Netzwerk an Bildungsinstitutionen, die im gesamten Land kreative Talente von jungen Menschen bis zur professionellen Ebene fördern. Die „Basic Artistic Schools“ werden bereits von 250.000 Kindern und Jugendlichen besucht. 2010 hat das Bildungsministerium den Bildungsrahmen für die Schulen angenommen, darauf basierend hat jede Schule ihr eigenes Programm entwickelt. Die niedrigen Schulgebühren ermöglichen vielen Kindern die Teilnahme und für sozialbenachteiligte Kinder übernimmt der Staat die Kosten. „Die finanzielle Förderung von neuen Lernkonzepten muss in den Mitgliedsländern angehoben werden. Kunst und Kultur sind ein guter Transmitter für unsere europäischen Werten, die von den Auszubildenden an eine breite Öffentlichkeit getragen werden und zum Ausbau der proeuropäischen Gesellschaft beitragen“, sagt Hannes Heide. Für den Unterricht in den Schwerpunkten Musik, Tanz, bildende Künste, Literatur und Drama, sowie Neue Medien werden professionelle Künstler mit entsprechendem Bildungshintergrund eingebunden. Und es besteht eine rege Zusammenarbeit mit staatlichen Festivals, Kulturinstituten, Fernsehen und Radio und Künstlervereinigungen.
Oper in der Schule
Ein ähnliches Schulangebot bietet auch das Internat „Oriol Martorell School“ in Barcelona. Eine Gesamtschule in Katalonien, die als einzige Bildungseinrichtung Spaniens Musik und Tanz mit herkömmlichen Unterrichtsfächern verbindet. Ob Physik, Mathe oder Sprachunterricht wird in allen Bereichen Wissensvermittlung über die grenzen der Schulfächer hinaus betrieben. Teilweise wird das Lehrpersonal durch berühmte Kunstschaffende ergänzt. Die Ausbildung ist komplex und anspruchsvoll und erfordert viel Engagement, Fleiß und Teamwork von den Auszubildenden. In enger Zusammenarbeit mit der örtlichen Kulturszene und Projekten der Stadt wird das Gelernte auch öffentlich aufgeführt. Über Italiens Grenzen hinweg agiert das Projekt „Opera In Canto“, dass Kindern die Welt der lyrischen Oper im Schulunterricht näherbringt und diese mit den Schülern und Schülerinnen in großen Opernhäusern auch zur Aufführung bringt. Finanziell wird das Projekt durch Creative Europe unterstützt. „Nicht jeder und jede Auszubildende muss und kann aus den genannten Projekten eine professionelle Karriere machen, aber bestimmt werden die jungen Menschen ein Kulturverständnis daraus mitnehmen, dass ihre Persönlichkeit und ihre europäische politische Identität nachhaltig prägt. Zudem erhöht mehr Kreativität im Unterricht die Konzentration und steigert nachweislich die Schulleistung der Kinder“, meint Hannes Heide.
Österreichs Bildungskonzept der Zukunft?
Auch am Rande von Wien wurde zwei Jahre lang mit und durch Kunst und Kultur gelernt und geforscht. In der Neuen Mittelschule in Himberg hat das Lehrerteam zusammen mit der Schulleitung und dem unabhängigen, gemeinnützigen Institut EDUCULT, für praxisnahe Forschung und Beratung sowie kompetentes Kulturmanagement in den Bereichen Kultur und Bildung, das Bildungskonzept der Schule umgestaltet, um sie zu einem attraktiven Lernumfeld für junge Menschen zu machen. Im Projekt „Lernen in, mit und durch Kultur“ wurde der normale Lehrplan mit Zustimmung der staatlichen Schulbehörde angepasst. Der Schulalltag in Himberg ist geprägt von flexiblen Stundenplänen: Regelunterricht in der Tradition der frontalen Wissensvermittlung ist so kurz wie möglich (max. 30 min); danach findet intensives Lernen in unterschiedlichen Neigungsgruppen verschiedener Altersstufen statt, die sich mit Schach, Fußball, Philosophie, lokaler Ökonomie, Ökologie, Bewerbung, Theater, Gesundheitswesen, Verkehr, Malerei und vielem mehr befassen können. Um diese Vielfalt zu ermöglichen, arbeitet das Lehrpersonal mit lokalen Institutionen und Experten aller Art zusammen und macht die Schule zu einem offenen Lernzentrum. „Der rote Faden all dieser europäischen Best Practice Beispiele für die Kunst- und Kulturvermittlung in der Schule ist ein flexibler Lehrplan und ein aktiver Austausch mit Experten und Kreativen. Herausgekommen sind vier außergewöhnliche Projekte, die zeigen, dass Kunst und Kultur im Unterricht kein Randthema sein sollte, sondern verbindend für alle Lernbereiche agieren kann“, fasst Heide zusammen.
Europaabgeordneter Hannes Heide ist Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung des Europäischen Parlaments.